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Machtmissbrauch durch elterliche Gewalt: Das Münchhausen-by-proxy-Syndrom

Entsetzen
(© Luis Louro - Fotolia)

"Kindheit war schon immer ein gefährlicher Ort, selten verlässt ihn jemand unbeschadet." (Katharina Ohana)

In der chinesischen Schriftsprache gibt es das sehr häufig verwendete Zeichen hǎo, welches sich aus den Symbolanteilen von "Frau" (nǔ) und "Kind" (zǐ) zusammensetzt und in diesem Bedeutungszusammenhang mit "gut", "schön" oder "in Ordnung sein" übersetzt und verstanden wird.

Die Betrachtung des Bildes einer Frau oder Mutter mit einem Kind löst nicht nur in der weit entfernten Kultur Chinas die spontane und positive Assoziation einer guten und natürlichen Verbindung zweier Menschenwesen aus. Auch wir empfinden instinktiv, dass eine Frau mit einem Kind grundsätzlich etwas Gutes, Schönes und Liebevolles darstellt und das keine Negativität oder Gefahr davon ausgehen könnte. Weit gefehlt, denn dies erweist sich leider zu oft als eine Illusion!

Die Eltern-Kind-Beziehung und besonders das Verhältnis einer Mutter zu ihrem Kind ist sehr häufig in einem viel größeren Maße negativ ausgeprägt, als man es auf dem ersten Blick vermuten würde. Von subtilen und meist unbewussten Erwartungshaltungen und Machtspielen der Eltern/Mütter über erzieherische Zwänge und Bestrafungen bis hin zu emotionaler, körperlicher sowie sexueller Gewalt und Ausbeutung, gibt es eine große Bandbreite von möglichen Fehlentwicklungen und missbräuchlichen Verhaltensweisen in einer Eltern-Kind-Beziehung, deren konkrete Auswirkungen wir oft in der therapeutischen Praxis beobachten können.

Da das Kind in seinen ersten Lebensjahren existenziell völlig abhängig von seinen Eltern und Bezugspersonen ist und es sich hierbei für lange Zeit um eine ungleiche Beziehung handelt, wirken sich missbräuchliches Verhalten und elterliche Gewalt besonders gravierend auf seine weitere Entwicklung aus und können das Kind seelisch schwer belasten und beschädigen.

Die wichtigste Rolle spielt hierbei in den meisten Fällen naturgemäß die leibliche Mutter, da das Kind schon während der Schwangerschaftszeit in seiner Embryonalentwicklung vielfältigen Reizen und Einflüssen im Mutterleib ausgesetzt ist, von denen es mitgeprägt wird und welche die frühesten Grundlagen für seine Existenz und sein Empfinden bilden.

Bekanntermaßen besitzt sogar schon der jeweilige emotionale Zustand der schwangeren Mutter auf das noch ungeborene Kind einen großen Einfluss. So können direkte körperliche Impulse, die durch Aufregung, Stress oder Traurigkeit der Mutter entstehen, durch hormonelle Botenstoffe und andere physiologische Prozesse mit übertragen werden. In diesem Zusammenhang sind besonders die subtilen Empfindungen und inneren Botschaften bedeutsam, die von der Mutter ausgesandt werden und auf den Fötus einwirken. Im Rahmen dieser präverbalen Kommunikation können negative Gefühle seitens der Mutter wie beispielsweise Ablehnung und Frustrationen über die Schwangerschaft und die bevorstehende Geburt, die "Daseinsverfassung" des zukünftigen Kindes auf einer sehr elementaren Bewusstseinsebene beeinflussen.

Spätestens ab dem Moment der Geburt und in den folgenden Wochen und Monaten danach, wird jedoch die wichtigste Grundlage für die Mutter-Kind-Beziehung gelegt und ist für die weitere Entwicklungstendenz des Kindes von größter Bedeutung. In dieser prägungskritischen und bindungsaktiven Phase ist das Verhalten der Mutter und die Qualität ihrer empathischen Möglichkeiten richtungsweisend für eine positive oder negative Entwicklung von Autonomie- und Existenzbewusstsein, Urvertrauen, Lebensmut, Selbstannahme sowie der zukünftigen Liebes- und Bindungsfähigkeit ihres Nachkömmlings. Defizite in der seelischen Reife der Mutter und ihrer Empathiefähigkeit sowie bislang unbewusste, verdrängte oder unbearbeitete Emotionen und innere Motive, welche die Mutter auf ihr Kind überträgt und an ihm ausagiert, besitzen hierbei eine negative Strahlkraft und können gravierende Auswirkungen auf die seelische Entwicklung des Kindes haben.

Mutti ist die Best(i)e

Vor diesem Hintergrund und im Kontext des ungleichen und einseitig-abhängigen Verhältnis zwischen Mutter und Kind mit all seinen möglichen destruktiven Konsequenzen, repräsentiert das so genannte Münchhausen-by-proxy-Syndrom (Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom) eine besonders schockierende und schwerwiegende Variante von elterlichen Machtmissbrauch und Gewaltanwendung gegenüber den eigenen Kindern. Bei dem Münchhausen-by-proxy-Syndrom täuschen Mütter durch situative Übertreibungen in Verbindung mit riskanten und teilweise lebensbedrohlichen Manipulationen an Ihren eigenen Säuglingen und Kleinkindern, nicht existente Krankheiten oder Befindlichkeitsstörungen vor, um die Aufmerksamkeit von Ärzten und medizinischen Personal zu erzwingen. Teilweise wird dieses Täuschungsverhalten von den Müttern auch dann vorsätzlich angewandt, um beispielsweise vor Gerichten oder Jugendämtern, den (Ehe-)Partner oder andere Familienangehörige juristisch und moralisch zu diskreditieren.

Auffällig ist hierbei, dass es sich bei diesem Syndrom in fast allen Fällen immer um die leibliche Mutter (äußerst selten um den Vater) oder eine mütterliche Bezugsperson handelt, die dieses Verhalten aufweist. Diese Frauen wirken meist sehr engagiert, aufopfernd sowie betont fürsorglich gegenüber ihrem Kind und besitzen häufig ein großes medizinisches, therapeutisches oder pädagogisches Fachwissen, mit dem sie ihre Umgebung beeindrucken können. Auch scheinen sie sehr kommunikativ und kooperativ im Umgang mit den — meist zahlreichen — Ärzten und Pflegepersonal zu sein und vermitteln überzeugend den Anschein, ihre eigenen Interessen ganz dem Wohle des Kindes unterzuordnen. Dies wird auf den ersten Blick oft sehr positiv wahrgenommen und erweckt bei den Anwesenden schnell einen sympathischen Eindruck, weswegen dieses Verhalten und die zugrunde liegende Störung in ihrem ganzen Umfang anfangs nur schwer durchschaut und dadurch selten erkannt wird.

Die ersten Ärzte und Therapeuten, die das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom in den siebziger Jahren beschrieben haben, praktizierten in britischen Krankenhäusern und beobachteten, dass viele (von der Mutter vorgetäuschten und absichtlich herbeigeführten) Krankheitssymptome der Kinder einen ungewöhnlichen Charakter hatten und sich immer dann besserten, wenn die Mutter für eine bestimmte Zeit keinen direkten Kontakt zu ihrem Kind hatte oder länger von ihm getrennt war. Diese Auffälligkeiten und Zweifel gegenüber der Symptomatik des Kindes und dem Verhalten der Mutter führten dann zu der Notwendigkeit einer intensiveren stationären Überwachung von Mutter und Kind. Dabei wurde unter anderem auch die heimliche Videoüberwachung eingesetzt, die in vielen Fällen die ärztlichen Verdachtsmomente sichtbar machten und nachweislich bestätigten.

Dabei war unter anderem zu sehen, wie Mütter, die glaubten sie seien alleine und unbeobachtet im Krankenzimmer, ihren Kind ein Kissen auf das Gesicht drücken oder mit ihren Händen den Mund und die Nase des Kindes zudrücken, um einen Erstickungs- oder Ohnmachtsanfall zu provozieren. Oder sie legten sich mit ihrem ganzen Gewicht auf das Kind, wenn sie bei ihm mit im Krankenbett lagen. Auch absichtliche Vergiftungen durch Medikamente oder durch Injektionen und Infusionen, die die Mutter dem Kind verabreichte, wurden beobachtet und aufgezeichnet.

Durch solche lebensgefährlichen Manipulationen konnten die — meist medizinisch versierten — Mütter, vorübergehend Symptome von angeblich asthmatischen und kardiovaskulären Störungen oder beispielsweise auch von nur schwer diagnostizierbaren neurologischen-psychiatrischen Erkrankungen, wie Epilepsie oder Schizophrenie, absichtlich bei ihrem Kind provozieren. Aber auch Berichte über brachiale Mütter, die ihren Kindern mit einem Hammer die Knochen brachen, mit Säuren und Laugen die Haut verätzten oder beigebrachte Wunden absichtlich infizierten, sind im Rahmen von Untersuchungen dokumentiert worden.

Verängstigtes Kind
(© nastia1983 - Fotolia)

Die Videoüberwachung und -aufzeichnung als quasi letzte Möglichkeit der Verdachtsbestätigung, deckte bislang leider nur einen geringen Teil der vorhandenen Missbrauchsfälle und die dabei angewandten Manipulationsmöglichkeiten auf. Nur weil dieses Verhalten so schwer durchschaut und nachgewiesen werden kann, handelt es sich hierbei nicht ausschließlich um selten oder exotische Einzelfälle, wie man möglicherweise annehmen könnte.

Im Gegenteil, es ist insgesamt von einer signifikanten Dunkelziffer auszugehen, bei der ein großes Spektrum von potentiellen Schädigungsarten und missbräuchlichen Verhaltensweisen existiert. Im Laufe der Zeit konnten jedoch schon durch fortgeschrittene forensische Untersuchungs- und Analyseverfahren, einige verdächtige "Münchhausen"-Mütter auch außerhalb einer medizinischen Einrichtung und ohne den Einsatz der — oftmals schwierig durchzuführenden und rechtlich umstrittenen — Videoüberwachungen überführt werden.

Ein Baron lässt grüssen

Aus fachlicher Sicht geht man bei der Einordnung dieses Syndroms von einer psychischen Störung aus, bei der die Mutter durch das absichtliche Erfinden und das dramatische Übertreiben eines vermeintlichen Krankheitszustandes, eine Selbst- und Fremdtäuschung erzeugt. Bei der medizinisch-psychiatrischen Klassifizierung dieser artifiziellen Störung, stand der so genannte "Lügenbaron" und Geschichtenerzähler Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen als Namensgeber Pate, der mit seinen sagenhaften und phantastischen Abenteuern Ende des 18. Jahrhunderts bekannt wurde. Da das "Münchhausen"-Verhalten zwar von der Mutter ausgeht, aber von ihr auf das Kind projiziert und dieses als Vorwand benutzt wird, spricht man hier ergänzend von einem "Stellvertreter"-Syndrom (engl. "proxy").

Wäre dieses Verhalten in seiner Konsequenz und angesichts der negativen Auswirkungen für die betroffenen Kinder nicht so dramatisch, könnte man sich durchaus darüber amüsieren und auch Gefallen an der unterhaltsamen Dramaturgie des Geschehens finden. Aber es handelt sich bei diesem Syndrom — trotz der sprachlichen Assoziation zu einem harmlosen historischen Wichtigtuer — keineswegs um eine seltene oder bedeutungslose Verhaltensauffälligkeit von überspannten Müttern, sondern um eine ernst zunehmende Problematik, deren Wurzeln möglicherweise viel tiefer liegen, als man es hierbei auf den ersten Blick vermuten würde.

Wie schon erwähnt, ist davon auszugehen, dass tatsächlich wesentlich mehr Fälle dieser Form der Kindesmisshandlung existieren, als bisher beschrieben oder konkret belegt wurden. Dies hat verschiedene Ursachen: einerseits, weil die Täuschung an sich nur schwer und zu selten durchschaut wird und andererseits, weil viele dieser Mütter mit ihren Kindern sehr häufig die Ärzte oder medizinischen Einrichtungen wechseln, bevor ein echter Verdacht aufkommt. Es findet meist ein so genanntes "Therapeuten-Hopping" statt, bei der sehr viele verschiedene Behandler oder Krankenhäuser aufgesucht und frequentiert werden, nach dem Motto "neuer Arzt, neues Spiel". Aber der wahrscheinlich wichtigste Grund ist: es wird auch deswegen nicht so häufig entdeckt, weil es nicht wirklich gesehen werden darf! Dieser Aspekt wird im Folgenden noch ausführlicher erläutert und genauer betrachtet.

Spiel mir das Lied vom Tod

Obwohl es sich offiziell um eine psychische Störung handelt, sind die Mütter — oder besser gesagt, die Täterinnen — in ihrer geistigen Verfassung und ihren mentalen Möglichkeiten nicht so sehr gestört oder beeinträchtigt, als dass man von einer "Verrücktheit" im klassischen Sinne sprechen könnte. Nein, zur Durchführung dieser Täuschungsmanöver ist ein ausreichendes Maß an Intelligenz, Planung, Fachwissen und kontrollierter sowie vorsätzlicher Handlungsfähigkeit notwendig.

Es handelt sich hierbei um ein — offensichtliches zwanghaftes — aber bewusstes und absichtliches Verhalten der Mütter mit einem hohen Maß an negativer Energie, wobei schlimmstenfalls auch die Tötung des eigenen Kindes bereitwillig mit in Kauf genommen wird. Eben diese Tatsache ist für viele besonders irritierend und schockierend. Reflexartig erscheint hierbei häufig als erster Gedanke: zu so etwas ist doch eine Mutter gar nicht fähig! Doch, das ist sie sehr wohl, auch wenn es noch so schwer fällt, dies anzuerkennen.

Bei der Auseinandersetzung mit der Thematik von Kindesmisshandlung und den unterschiedlichen Formen von Kindesmissbrauch, entsteht auffälligerweise bei vielen Menschen meist sehr schnell eine Befangenheit oder ein inneres Unbehagen. Wir können häufig beobachten, dass die dabei aufkommenden Gefühle instinktiv abgewehrt werden oder durch eine kompensatorische und rational begründete Abwertung oder Negierung der Thematik erst gar nicht zugelassen werden. Das Gesehene oder Gehörte wird vielleicht vorübergehend als schockierend wahrgenommen und auch eine echte Betroffenheit oder Entrüstung mag sich dabei einstellen, aber meist wird es als unglaublich, unvorstellbar, unwahr, übertrieben, als Einzelfall oder außerhalb der eigenen Lebenswirklichkeit etc. eingestuft und dabei in seiner realen Wertigkeit reduziert.

Der Grund für diese Neigung zur entschärfenden Reduktion, Verdrängung oder Abspaltung liegt häufig in der Selbstschutzreaktion des jeweiligen Betrachters: Dieser wird beispielsweise mit einem heiklen Aspekt aus seiner eigenen Biographie konfrontiert und leistet auf diese Weise inneren Widerstand, um nicht in unmittelbaren Kontakt mit der Hilflosigkeit und den ohnmächtigen Gefühlen einer einstmals selbst erfahrenen oder als innerlich real empfundenen Opfersituation treten zu müssen.

Auch ist es hierbei meist die unbestimmte und bedrohliche Angst vor dem eigenen Schatten, dem innewohnenden "Bösen" und die irrationale Befürchtung, dass er möglicherweise unter dem Einfluss seiner endogenen, dunklen Kräfte auch zu so etwas fähig wäre und es nicht kontrollieren könnte. Diese, in zahlreiche Richtungen projizierten Urängste und Befangenheiten, schwingen bei vielen Menschen unbewusst mit und treten sehr rasch in Resonanz mit einem entsprechenden auslösenden Ereignis.

Es gibt leider viele unterschiedliche Formen von extremen Kindesmissbrauch, die für viele von uns tatsächlich wie aus einer uns fremden und völlig pervertierten Welt zu stammen scheinen: Kinder und Jugendliche, die sklavisch in der Zwangsarbeit, Prostitution oder im Drogenhandel dienen müssen; zu Kindersoldaten oder fanatischen Selbstmordattentätern ausgebildet werden; zum Betteln absichtlich verkrüppelt und invalidisiert werden oder auch jene, die getötet werden, weil sie in die blutigen Fänge einer brutalen Organspendemafia geraten sind. Dies alles als einen Teil der gegenwärtigen menschlichen Realität anzuerkennen, ist verständlicherweise sehr schwierig und mit vielen inneren Widerständen behaftet.

Der Mutter-Schatten

Wir schaffen uns in Bezug auf unsere Elternfiguren lieber eine ganz eigene Realität und neigen kollektiv dazu, möglichst ein Bild von einer gütigen und uns liebenden Mutter und eines Vaters entstehen zu lassen, um es auf unsere Kindheitssituation zu projizieren und auch daran festzuhalten. Es bereitet uns große Schwierigkeiten, würde sich herausstellen, dass unsere Lebensspenderin nicht dieses vermeintlich heilige, warmherzige, gütige und liebevolle Wesen ist, wie wir es im Zustand unserer projektiven Idealisierung betrachten und ersehnen, sondern in Wirklichkeit eine kalte, abweisende, überforderte und frustrierte Frau mit starken seelischen Defiziten, hilflos und unfähig, eine gesunde Mutterrolle für uns einzunehmen. Wir könnten uns damit verständlicherweise nur schwer identifizieren, müssten wir doch uns selbst gegenüber anerkennen und akzeptieren, als Adressat und Opfer zwangsläufig ein Teil dieser dysfunktionalen und lieblosen Hierarchie zu sein.

Wenn der Mensch auf die Welt kommt, ist er aufgrund seiner biologischen Entwicklungsmuster im Vergleich zu vielen anderen Lebewesen im Grunde eine körperliche und seelische Frühgeburt, die für lange Zeit sehr viel Schutz, Unterstützung und Pflege braucht, bis er einen gewissen Grad an Überlebensfähigkeit und Autonomie erlangt hat.

Durch diese existenzielle biologische sowie soziale Abhängigkeit, ist er dem jeweiligen Bewusstseinszustand und seelischen Reifegrad seiner Eltern und der Elternumgebung unmittelbar ausgeliefert. Versagen hier die Elternfiguren, bekommt das noch wehrlose Kind diesen defizitären und negativen Einfluss unmittelbar zu spüren und kann ihm für lange Zeit nichts oder nur wenig entgegensetzen. So entstehen jene frühkindlich-toxischen Prägungen, die schon ganze Generationen und ihre jeweiligen Gesellschaftsformen kollektiv vergiftet und destruktiv beeinflusst haben (siehe u.a. dazu auch Alice Miller und Arno Gruen).

In Hinblick auf das Münchhausen-Syndrom scheinen schon latent vorhandene und durch die Geburt des Kindes ausgelöste Selbstwertkrisen der Mutter ein wichtiger Grund zu sein. Nicht jede schwangere Frau freut sich auf die Geburt ihres Kindes und viele können nach der Entbindung ihre neue Rolle und die unumkehrbare Situation oft nur schwer akzeptieren. Dies zeigt sich statistisch in den Häufigkeiten der so genannten postpartalen Depression: Innerhalb der ersten Woche kann es bei bis zu 80 % der Mütter zu emotionaler Labilität, depressiven Verstimmungen oder auch zu manifesten Depressionen sowie Psychosen kommen. Darunter sind Neigungen zur affektiven Tötung des Säuglings und eigene Suizidimpulse immer wieder ein großes Thema.

In einem Zeitraum von einem Jahr nach der Entbindung sind es durchschnittlich 20 % der jungen Mütter, die noch Symptome einer postpartalen Depression aufweisen, und das sogar in einer Phase, in der das Bindungshormon Oxytocin im Zusammenhang mit dem Stillen des Säuglings eine dominante Rolle in der mütterlichen Neurochemie spielt. Diese statistischen Werte sind sehr wahrscheinlich noch zu niedrig angesetzt, da viele Jungmütter aus Scham und Schuldgefühlen versuchen, die depressive Symptomatik zu überspielen und auch gegenüber den Ärzten und der Hebamme ihren inneren Zustand und ihre tatsächlichen Empfindungen verschweigen.

Hier wird sichtbar, dass mütterlicherseits generell eine Neigung zu Irritationen in der Mutter-Kind-Beziehung schon ab der Geburt existiert. Dies muss nicht zwingend in den beschrieben extremen Verhaltensweisen einer Münchhausen-Mutter münden, zeigt aber deutlich, dass die Chancen für einen gesunden Beziehungsaufbau schnell schwinden oder sich sogar in das Gegenteil verkehren können. Gerade in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt ist ein wichtiges Zeitfenster geöffnet, in dem eine intakte und hochqualitative Mutter-Kind-Beziehung etabliert werden sollte. In dieser postpartalen Phase benötigt das Kind eine psychisch stabile und in sich zentrierte Mutter und nicht eine Gebärende, die ihren eigenen und bis dato notwendigen Entwicklungsprozess noch nicht abgeschlossen hat und mit ihrer inneren Labilität und seelischen Unzulänglichkeiten ihre Nachkömmlinge belastet und beschädigt.

Defizite der mütterlichen oder väterlichen Persönlichkeitsstruktur und ihrer jeweiligen psychischen Verfassungen, können sich in der Eltern-Kind-Beziehung auf ganz individuelle Art und in unterschiedlicher Intensität ausdrücken. Vieles findet auf einer mehr oder weniger unbewussten Ebene statt und beeinflusst eher subtil die Beziehung zwischen Eltern und Kind. In anderen Fällen agieren die Eltern wiederum absichtlich ihre negativen Übertragungen sowie ihre schädlichen Verhaltensweisen an ihrem Kind aus und instrumentalisieren es vorsätzlich für ihre egoistischen Motive.

In beiden Fällen können wir jedoch aus meiner Sicht und anhand der persönlichen Erfahrungen und Lebensgeschichten zahlreicher Klienten von einem mehr oder weniger sichtbaren und spürbaren Machtmissbrauch sprechen, besonders dann, wenn wir die — oft lebenslangen — Folgen für das Kind betrachten. Hier sollte durchaus ein viel höherer Anspruch an die seelische Reife, Integrität und Empathiefähigkeit der zukünftigen Elternfiguren gestellt werden, bevor diese sich als verantwortungslose Mütter und Väter ausprobieren und defizitär geprägten oder traumatisierten Nachwuchs (er)zeugen.

Vektoren unserer Beziehungen

Es existieren meiner Ansicht nach drei Hauptachsen, die wir in sehr vielen Beziehungssituationen vorfinden und eben auch in der Eltern-Kind-Beziehung beobachten können. Die erste Achse und wichtigste Beziehung die jeder Mensch eingeht, ist die Beziehung zu sich selbst! Jeder ist sich naturgemäß selbst am nächsten — und diese Tatsache ist hier ganz bewusst in einem positiven Sinne gemeint. Das Verhältnis, das wir zu uns selbst haben, ist immer präsent und bestimmt unser Leben zu jeder Zeit und an jedem Ort. Unsere Selbst-Beziehung beeinflusst zuallererst unsere eigene Empfindung uns selbst gegenüber; es findet ein intensives und unentrinnbares Wechselspiel zwischen unserem inneren Empfinden und der Wahrnehmung gegenüber dieser Empfindung statt.

Solange wir uns beispielsweise mit uns selbst gut fühlen, als ein authentisches, integeres und in uns ruhendes Individuum — was leider für sehr viele ein seltener Zustand ist —, können wir gut mit dieser Beziehungsachse leben und mit uns und unserer Existenz auskommen. Wenn wir uns jedoch — wie so häufig — nicht so gut fühlen und überwiegend negative Empfindungen uns selbst gegenüber haben, neigen wir kollektiv dazu, uns selbst nicht mehr so stark zu spüren zu wollen. Wir können aber nicht vor uns selbst weglaufen, obwohl sehr viele von uns es immer wieder versuchen.

Anstatt dem eignen Unwohlsein auf den Grund gehen und uns damit bewusst auseinander zu setzen, entwickeln wir individuelle Strategien, um innerlich vor uns selber auszuweichen. Wir negieren die unguten Empfindungen und leisten meist schnell inneren Widerstand. Dabei kreieren wir zahlreiche Ablenkungsmanöver und Fluchtversuche durch Aktionismus in Arbeit, Sport und übertriebenes Konsumverhalten. Unterhaltungsangebote und absichtliche Reizüberflutung sowie Drogenrausch und Fresssucht etc., dienen oft als weit verbreitete Ersatzbefriedigungen und Betäubungsversuche für uns selbst. Oder eben auch als sehr beliebte Variante und psychoider Klassiker: Die Projektion und das missbräuchliche Ausagieren unserer negativen Gefühle auf "die Anderen" und meist Schwächeren in unserer Umgebung.

Der konstruktive und bewusste Umgang mit der Beziehungsachse Nr.1 ist nur schwer zu gestalten, da wir in unserer Kultur und aufgrund der existierenden Erziehungsprämissen damit nur wenig Erfahrung besitzen und kaum positive Vorbilder vorfinden. Wir lernen schon sehr früh und intensiv, unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein überwiegend nach außen und auf äußerliche Werte zu richten, was auf Dauer unseren inneren Frieden reduziert und uns — in Unkenntnis dieses Zusammenhangs — noch mehr im Außen suchend und verhaftend bleiben lässt.

Auf der zweiten Beziehungsachse kommt zu einer Begegnung vom Ich zum Du, zu unserem Mitmenschen und unserem Gegenüber. Wir sind jetzt nicht mehr nur in alleiniger Beziehung zu uns selbst, sondern bewegen uns mit unserem Bewusstsein hinaus in die Welt und treten mit ihr in direkten Kontakt. Auf dieser horizontalen Beziehungsachse spielt hierbei vor allen Dingen die Etablierung von Paarbeziehungen, also die Auseinandersetzung mit einem Partner, eine große Rolle.

Wir benötigen für unsere innere Entwicklung die tiefere Begegnung mit unseren Mitmenschen und die Spieglung unseres Ichs. So kann ein gegenseitiges Lernen und Sich-Ergänzen stattfinden und unsere persönliche Entwicklung vorantreiben. Eine Beziehungslosigkeit auf dieser Ebene wäre nicht nur hinderlich für unser Wachstum, sondern würde auch unserer ursprünglichen und inneren Natur als soziales Lebewesen entgegenstehen.

Aus der Achse der Paarbeziehungen entsteht dann die dritte Beziehungsachse, die uns mit den von uns gezeugten Nachkommen verbindet und als vertikale "Achse der Ahnen" verläuft. Die aus der Paarbeziehung hervorgegangen Kinder werden dann wiederum direkt durch ihre Eltern in ihrer Beziehung zu sich selbst (1. Beziehungsachse) stimuliert und geprägt. So stehen alle Achsen miteinander in Verbindung und beeinflussen direkt oder indirekt unsere Entwicklungsmöglichkeiten.

Elternkompetenz als gesellschaftliche Herausforderung

Wenn wir von diesem Modell der Beziehungsachsen ausgehen, könnte im Idealfall eine positive Entwicklung sich so darstellen: Der einzelne Mensch konzentriert sich überwiegend auf seine innere Entwicklung und bemüht sich darum, eine gesunde und authentische Beziehung zu sich selbst aufzubauen. Mit diesem inneren Wissen und vertieften empathischen Bewusstsein über sein eigenes Wesen, begegnet er seinen Mitmenschen und potentiellen Partnern. Da er durch die bewusste Konfrontations- und Aufarbeitungsarbeit mit seinem Schatten immer mehr zu sich selber gefunden hat, ist er in der Begegnung mit anderen weitestgehend frei von Ängsten, Projektionen, Blockaden und unreifen Bedürftigkeiten.

So kann ein aufrichtiger Kontakt entstehen, der nicht von gegenseitigen Machtspielen und Manipulationen beeinträchtigt wird, sondern der dazu dient, den Anderen in seiner Einzigartigkeit zu erkennen und liebevoll anzunehmen. Kinder, die aus solchen Partnerschaften hervorgehen, würden auf diese Weise von dem höheren Reife- und Bewusstseinsgrad beider Eltern sehr profitieren und sich von ihnen empathisch und liebevoll unterstützt fühlen.

Leider existieren bei vielen Menschen große Schwierigkeiten auf allen drei Beziehungsachsen. Besonders die Beziehung des Einzelnen zu sich selber ist — meist durch das Versagen der eigenen Elternfiguren und mangelnder empathischer Unterstützung verursacht — sehr oft problematisch und durch schmerzhafte Erfahrungen geprägt. Dadurch entstehen nachfolgend wiederum Probleme und negative Verwicklungen auf der zweiten Beziehungsachse, versucht man doch auf diesem Wege immer wieder von den anderen das bekommen, was einem im eigenen Wesen fehlt.

So entsteht schnell eine Kaskade des Mangels, die häufig vom jeweiligen Partner bewusst oder unbewusst mitgetragen wird und sich innerhalb der Beziehungsdynamik weiter verstärkt. Kinder, die aus diesen negativ besetzten und dysfunktionalen Paarbeziehungen hervorgehen, sind dabei als schwächste Glieder solcher Beziehungsgeflechte sehr häufig die ersten Opfer ihrer inkompetenten Eltern.

Viele Mütter und Väter instrumentalisieren ihre Kinder, um damit ihren eigenen Defizite auszugleichen. An dieser Stelle hat der elterliche Missbrauch schon längst begonnen, denn die Kinder sollen bedauerlicherweise vorrangig den Bedürfnissen der Eltern dienen, anstatt von ihnen in ihrem eigenen Sosein bedingungslos und liebevoll unterstützt zu werden.

Da die meisten Münchhausen-Mütter einen großen inneren Mangel an eigenem Selbstwertgefühl besitzen und sich selbst gegenüber entfremdet haben, benutzen sie ihre Kinder als eine Art Krücke zur kompensatorischen Befriedigung ihres Mangels. So wird das Kind als Selbst-Objekt der Mutter missbraucht, um stellvertretend für sie zu leiden und ersatzweise Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erlangen.

Diese Pervertierung und pathologische Umkehrung der Mutter(Eltern)-Kind-Beziehung könnte möglicherweise verhindert werden, wenn ein größeres Bewusstsein in unserer Gesellschaft für diese Fehlentwicklungen und ihre Hintergründe entsteht. Dann wäre es auf Dauer kein Tabuthema mehr, warum Eltern sich so missbräuchlich verhalten und es könnte eine konstruktive Diskussion über die Kriterien einer noch zu definierenden Elternkompetenz und -befähigung eingeleitet werden. Die Freiheit und das Recht zur Elternschaft ist ein hohes Gut, aber das Menschenrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit eines Schwächeren und Wehrlosen sollte hier schwerer wiegen.

Für sehr viele Berufe und Aktivitäten benötigt man beispielsweise die entsprechenden Qualifikationen oder Erlaubnisse mit bestimmten Mindestanforderungen. Warum sollte dies nicht auch für den großen Verantwortungsbereich einer Elternschaft zutreffen? Warum gibt es einen Führerschein, damit wir Auto fahren dürfen, aber keinen "Elternführerschein"? So könnten möglicherweise viele "Unfälle" auf der dritten Beziehungsachse verhindert werden und unschuldige Kinder müssten nicht unter inkompetenten und bedrohlichen Eltern leiden oder sogar um ihr Leben fürchten.

Es sei hier zum Abschluss noch angemerkt, dass dieser Artikel auch unter dem Eindruck von den persönlichen Erfahrungen hunderter Klienten entstanden ist, die mir im Laufe vieler Jahre in den Praxissitzungen über die Folgen ihrer leidvollen und teilweise auch lebensbedrohlichen Elternbeziehung berichtet haben. Hier zeigt sich deutlich, dass diese Thematik viele Menschen betrifft, auch wenn es sich dabei nicht nur um extreme Situationen wie beim beschriebenen Münchhausen-by-Proxy-Syndrom handelt. Der Missbrauch kommt auch häufig auf leisen Sohlen!

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